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Mehr Eindrücke

  • Autorenbild: Milan
    Milan
  • 14. Apr.
  • 3 Min. Lesezeit

Acht Tage "on call", mit zwei einzelnen Ruhetagen dazwischen, sind nun vorbei. Eine gewisse Routine setzt schnell ein, gerade die Standardabläufe sind zügig verinnerlicht. Eine gewisse „Standardstrecke“ hat sich auch schon zumindest für den Moment etabliert, 130 Kilometer in den Osten zum Militärkrankenhaus in Petropawliwka und wieder zurück in das jeweils „diensthabende“ Krankenhaus in Dnipro. Medizinisch bislang überwiegend unspektakuläre Transporte, die Soldaten sind in der Regel gut versorgt und meistens schon operiert, wir sorgen oft für den „Abfluss“ um Platz für die nächsten Verletzten zu schaffen. Als Anästhesist beeindruckend finde ich die extrem hohe Rate an Nervenblöcken bei Extremitätenverletzungen, Prozeduren die sich laut den lokalen KollegInnen tatsächlich im Rahmen des Krieges etabliert haben und in mehrfacher Hinsicht ein Zugewinn sind. Ich habe einen Soldaten mit schlimm zugerichtetem Bein einbeinig mit Rucksack in unsere Ambulanz springen sehen, ohne Nervenblock hätte er vermutlich nur halb betäubt den Transport ertragen können. Anders sieht es bei Verletzungen am Bauch oder dem Oberkörper aus, hier musste ich eher großzügig nachlegen um die holprige Route schlussendlich in „Analgosedierung“ zu überstehen. Generell sind die meisten Verletzungen durch Explosionen bedingt, klassische Schussverletzungen sind in der Unterzahl.

Viele PatientInnen würde ich im deutschen Rettungsdienst niemals begleiten – teilweise ist der Grund für die Arztbegleitung einfach die Unmöglichkeit zu sitzen. Es begegnen einem auch medizinische Notfälle – eine Blutdruckentgleisung kann auch an der Front passieren, der Patient wurde tatsächlich zu meiner Überraschung trotz unauffälligem EKG und nun Beschwerdefreiheit einem Herzkatheter ohne weitere Labordiagnostik zugeführt. Bisweilen fahren wir auch vom Konflikt unabhängige Transporte wie eine Patientin mit schwerem Schlaganfall und Halbseitenlähmung. Es begegnet uns viel Dankbarkeit, dank dem bei mir in der „Einarbeitung“ befindlichem Arzt, der russisch spricht, ist auch ein wenig mehr Interaktion möglich. Zum Wochenende habe ich auch eine neue Teampartnerin zugewiesen bekommen, eine extrem erfahrene Hubschrauberpflegekraft aus den USA – dort sind auch die Rettungs- und Transporthubschauber mit Paramedics und Nurses besetzt, ÄrztInnen sind im Rettungsdienst einfach nicht vorhanden. Super spannende Austausche über die jeweils bekannten Gepflogenheiten und Kompetenzen, bei gegenseitigem Interesse lässt sich unfassbar viel voneinander lernen und die Arbeit findet auf Augenhöhe statt. Mittlerweile haben wir auch nahezu alle Verfügbaren Ambulanzen im Betrieb gehabt, alle haben ihre Wehwehchen und brauchen Regelmäßig etwas Zuwendung. Zuletzt waren wir in „Phoenix“ unterwegs, ein ehemaliger Kastenaufbau vom Bayerischen Roten Kreuz, hier kann sich das Trittbrett während der Fahrt nicht entscheiden ob es ein- oder ausgefahren sein möchte. Erstaunlicherweise gewöhnt man sich schnell an die Dimensionen, Rückwärts die steile Einfahrt zur neuen Basis hoch gelingt mittlerweile in einem Zug. Die zuvor bestehende Anschlagswarnung in öffentlichen Plätzen ist mittlerweile zurückgenommen worden, so dass wir uns in der Stadt wieder frei bewegen können. Ein paar Spaziergänge durch die Innenstadt haben meinen positiven Eindruck weiter bestätigt, und die Laufrouten haben uns an den freien Tagen mittlerweile auch an den Dnepr und auf die Klosterinsel mitsamt nach Urlaub wirkendem Sandstrand geführt. Nach der kurzen Episode mit sibirischem Schneegestöber ist der Frühling wieder zurück, die Stadt ergrünt und das Grau weicht einem deutlich lebendigerem Stadtbild. Eine Stadt die weiter „leben“ möchte und den Krieg gewohnt ist, kombiniert mit den regelmäßigen Luftalarmen mit Anweisungen zum Schutz suchen, führt dazu dass man sich in der Bar von den Fenstern zurückzieht und einfach ein neues Getränk bestellt um die Zeit zu überbrücken – es gehört einfach zum Alltag dazu. Die ballistischen Angriffe sind deutlich beeindruckender und verheerender, im Vergleich zu den allgegenwärtigen Drohnen aber in der Minderheit. Die Ereignisse aus Sumy an Palmsonntag waren auch in den deutschen Nachrichten sehr präsent, generell besteht die Sorge über eine Beschleunigung der Ereignisse in den warmen und trockenen Monaten. Ob und wann eine Rotation für mich stattfindet ist noch unklar, könnte sich aber im Verlauf der Woche herausstellen. Interesse und Motivation sind weiterhin vorhanden. Le moral est bon, on continue le vol!

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