top of page

Drei Tage

  • Autorenbild: Milan
    Milan
  • 5. Apr.
  • 3 Min. Lesezeit

Nach meiner Ankunft am Mittwoch sind die Tage erwartungsgemäß lang und mit vielem neuen Input gefüllt. Viele Onboarding-Formalitäten, viel Abhaken von Checklisten, viele Infos die durch mein halb-aufmerksames Lesen der vorab verfügbaren SOPs und Leitsätze redundant sind, ein paar Themen die durch gesunden Menschenverstand und ein Minimum an Moral zusammengefasst werden können und man sich wundert warum so etwas erwähnt werden muss.. Es gehört alles dazu, soll erwähnt und wahrgenommen werden und natürlich kann nicht alles, durch den doch sehr vollen Zeitplan der verantwortlichen Person, sofort und zügig abgearbeitet werden wie ich es mir wünschen würde. Die Lücken fülle ich unter anderem mit eigenem Durchgehen, komplettem Auspacken und neuem Einsortieren der Medikamententasche und des Notfallrucksacks. Deren Inhalt lässt wenig zu wünschen übrig, die Medikamentenliste auf Intensiv-Niveau aber teilweise auf kyrillisch beschriftet oder in Deutschland nicht zugelassen - wer kennt Nefopam? Es gibt ein mobiles Ultraschallgerät und unfassbar viele Tourniquets - kein Videolaryngoskop. Zeitweise steht nichts für mich an, so dass ich meine Einarbeitung durch die an sich anstehenden Tasks mit meinem Teampartner selber gestalte, beispielsweise durch das gemeinsame Neubestücken eines Wagens inklusive Gerätetests, Üben mit der Trage (Im deutschen Rettungsdienst hieß es immer scherzhaft es reicht wenn ich die Verantwortung trage) und den ersten Fahrten durch die Stadt für kleinere Erledigungen. In Deutschland nur ebenfalls nur „Gast“ auf dem NEF und den RTWs, wechseln wir uns hier bei den Abschnitten ohne PatientIn mit dem Fahren ab – die Wege sind weit, die Straßen schlecht, die lokalen Fahrstile gewagt bis halsbrecherisch. Nebenbei sind wir schon oft im neuen Teamhaus, das direkt um die Ecke liegt und eine Art Villa mit 5 Zimmern ist und im Gegensatz zum aktuellen Haus eine eher rustikale und altmodische Ausstattung hat, dafür mehr Platz auf dem Grundstück – bei dem aktuell mit voller Kraft einsetzendem Frühling ein Traum. Die Sicht aus dem obersten Stockwerk ist ebenfalls sehenswert (Bild). Die Sicherheitslage bleibt zurzeit weiter schwierig. Einerseits hat die Intensität der Drohnen und auch Raketenangriffe weiter zugenommen, in der ersten Nacht waren wir nur kurz, in der zweiten von 23 bis 03h im „Shelterbadezimmer“, die Explosionen waren vor allem zu Beginn durchaus wahrnehmbar. Die letzte Nacht war hier ruhig, allerdings wurden andere Orte schwer getroffen, auch zu erkennen an der Anzahl von Transportanforderungen in der Dispatchgruppe. Andererseits besteht weiterhin eine unklare Bedrohungslage durch Anschläge, so dass wir unsere Bewegungen weiter einschränken müssen und insbesondere belebte Orte meiden sollen. Zuletzt wurde immerhin das Einkaufen genehmigt, spazieren oder laufen in Wohnsiedlungen ist ebenfalls erlaubt bei dauerhaftem Mitführen von Pass und Handy. Die Gelegenheit nutze ich zu den Abendstunden und finde einen Park mit Sportplatz, benannt nach einem bekanntem Kosmonauten, der sicherlich meine neue Standardrunde zum Auspowern wird. Zum Geräusch der Sirenen Sport zu machen ist interessant, auf einmal könnte jeder vorbeifliegende Vogel auch eine Drohne sein. Dnipro ist eine relativ schöne Stadt mit dem bestimmt typischen Mischbild aus sowjetischen Bauten, neuen Hochhäusern und deutlich älteren Monumenten. Die Gegend ist hügeliger als erwartet, mit einem tollen Ausblick auf den Dnepr und recht vielen Grünflächen. Bei gutem Wetter und offenem Fenster haben die Fahrten entlang der Uferpromenade auch etwas Urlaubsmäßiges an sich – die gelegentlichen Brandlöcher in den Hochhäusern trüben das Bild natürlich. Eindrücklich finde ich auch für die Nähe zur Front und die allgemeine Lage in der sich das Land seit 3 Jahren befindet die augenscheinlich gute Versorgungslage, die Supermärkte sind gut gefüllt, Strom, Wasser und Internet funktionieren in der Regel reibungslos und es scheint eine wirklich gute Adaptierung an die Umstände, so schlimm sie sind, stattgefunden zu haben. Kommunikation bleibt schwierig, die technischen Möglichkeiten machen aber einiges möglich, und generell sind die Menschen überaus nett und zuvorkommend. Zum Wochenende sind die KollegInnen aus dem Satellitenstützpunkt eingetroffen und wir konnten uns über deren Erfahrungen austauschen, dort arbeiten und wohnen wir gemeinsam mit Ärzte ohne Grenzen an einem Ort. Die Transporte dort sind in der Regel am Vortag geplant, länger, die PatientInnen kränker. Ich kann nicht bestreiten dass es mich sehr reizen würde auch von dort zu fahren, geplant ist es aktuell nicht. Zum entsprechenden Briefing von MSF darf ich zumindest nächste Woche mit, falls ich zu der Uhrzeit nicht im Einsatz bin. Nachdem ich heute auch meine Einsatzjacke mit Patches (inklusive Blutgruppe und WHO Zertifizierung) bekommen habe, das Auto gewaschen ist und das OK der aktuell medizinisch verantwortlichen Person gegeben wurde, sind wir auf der Ambulanz „Sunbeam“ ab Sonntagmorgen um 06 Uhr Einsatzbereit. Die nächste Ruhezeit ist dann ab Dienstag nach 48 Stunden vorgesehen, und ich bin sehr gespannt was und wie viel wir bis dahin erlebt haben werden.

ree

Kommentare


bottom of page