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Die ersten Fahrten

  • Autorenbild: Milan
    Milan
  • 9. Apr.
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 9. Apr.

Mit einer guten Grundanspannung stehe ich am Sonntag auf, frühstücke und blicke bei jeder Handybenachrichtigung gespannt auf meinen Teampartner, der für den ersten Tag das Handy bei sich hat. Die Aufträge kommen auf Ukrainisch über eine Signal-Gruppe von Ärzte ohne Grenzen, werden dann in eine Gruppe unserer Organisation inklusive Übersetzung weitergeleitet, anschließend werden unsere Fortschritte Analog der Statusmeldungen im Rettungsdienst sukzessiv in beide Gruppen geschickt. Wir haben eine Ausrückfrist von 10 Minuten, allerdings sind viele Fahrten genau wie Sekundärtransporte in Deutschland mit viel Vorlaufszeit geplant – man muss also nicht immer direkt aufspringen. Unser erster Einsatz Vormittags geht vom größten Krankenhaus der Stadt „Mechnikov“ zum Bahnhof, wo ein Transportzug um 11h10 hält und verwundete Soldaten in den den Westen transferiert. Wir können und dürfen einen sitzenden und einen liegenden transportieren, die sitzenden sind üblicherweise vollkommen selbstversorgend und haben oft als primäres Anliegen die Möglichkeit bei jedem Stopp eine Zigarette zu rauchen. Unser liegender Patient hat eine Explosionsverletzung, mehrere Operationen inklusive einer Beinamputation hinter sich und eine Wundheilungsstörung die mit einer Vakuumpumpe behandelt wird. Das Krankenhaus ist groß, natürlich recht unübersichtlich, die Zimmer sind eng und mit vielen Patienten belegt. Alles in allem aber kein riesiger Kulturschock. Die Sprachproblematik macht mir eher zu schaffen – richtige Übergaben gibt es nicht, das nötigste wird entweder mittels gebrochenem Englisch oder der Übersetzungsapp abgesprochen. Die Vorgeschichte und Diagnose reime ich mir mittels Fotoübersetzung über die kurz gehaltenen aber strukturierten Dokumente und eine kurze Untersuchung zusammen. Am Zug möchte keiner eine Übergabe haben, es wird nur ein kurzer Blick auf den Brief geworfen, ein Wagen zugeteilt in den wir dann mit der Trage fahren. Es stehen schlicht normale Betten in Längsrichtung im Wagon, schätzungsweise sind 3-4 Fachkräfte für ungefähr 10 Patienten zuständig. Die nächste Fahrt führt uns zu einer Tankstelle ungefähr 60km von Dnipro, wo wir einen morgens am Brustkorb angeschossenen Patienten mit Thoraxdrainage und einen anderen leicht verletzten von einer MSF-Ambulanz übernehmen. Beide sprechen gut Englisch und sind sehr freundlich und dankbar, primäres Problem ist einerseits die vergessene Dokumentenübergabe, weswegen wir einmal umdrehen müssen, und für die Patienten die etwas schmerzhafte Fahrt auf der teilweise sehr holprigen Autobahn E50. Wir geben beide im alten Sowjet-Hospital Nr 4 ab, auch dort freundliches Personal aber wenig Kommunikationsmöglichkeit und trotz mehrfacher Nachfrage möchte niemand meine sorgfältig vorbereitete Übergabe hören.

Zum Glück erst nach dem Abendessen geht es dann um 21h 130km weit in den Osten. Auf dem Weg wird umdisponiert, wir bekommen wir einen Neuen, nun beatmeten Patienten zugewiesen. Ich fahre die 2 Stunden hin, begleitet von Musik und interessanten Gesprächen mit dem Team, meiner aktuellen „WG“, passieren wir viele Checkpoints mit desinteressierten Soldaten. Viele LKW und Transporter scheinen die nächtlichen Stunden für die Versorgungsfahrten an die Front zu nutzen. Wir treffen uns vor einem lokalem Krankenhaus mit einer anderen Freiwilligenorganisation, allerdings deutlich militärischer mit Khakigrünem Fahrzeug und Uniform. Ein dänischer Paramedic und eine ukrainische Ärztin übergeben uns den Patienten, der nicht verwundet war sondern einen medizinischen Notfall hatte. Die Stimmung ist entspannt und kollegial, wir nehmen uns Zeit und sorgen vor der Abfahrt für eine möglichst stabile und geordnete Situation und haben dadurch eine entspannte Rückfahrt, wieder zum Hospital Nr 4, wo wir den Patienten direkt in das CT bringen. Dieses Mal ist eine Übergabe möglich und auch hier ist die Stimmung trotz der nun sehr fortgeschrittenen Uhrzeit sehr angenehm. Leider geht irgendwo während des Einsatzes mein Rucksack verloren, das stelle ich erst bei Eintreffen an der Basis fest und trotz sehr ausführlicher Suche im Krankenhaus am Folgetag taucht er nicht mehr auf.

Es findet am Montag dann nur ein einzelner Transport zum Zug ohne Besonderheiten statt, ich habe das Handy übernommen und wir nutzen den Tag um das Medikamentendepot zur neuen Basis zu transferieren. Dienstag ist Ruhetag gewesen, ich kann ausschlafen und gehe nachdem ich mich telefonisch noch einmal im Krankenhaus erkundigt habe mit meinem Teampartner in die Stadt um einen neuen Rucksack sowie dessen wichtigste Inhalte - Powerbank, Wasserflasche - zu besorgen. Das Wetter ist spektakulär aprilmäßig, Sonnenschein wechselt sich mit Schneegestöber ab, der lange Spaziergang ist aber sehr erholsam. Im Anschluss packen einige von uns unsere Sachen zusammen und ziehen nun komplett in die neue Basis um, der Rest wird später folgen. Nach einem gemeinsamen Abendessen dürfen wir im Rahmen eines recht kurzen Drohnenangriffs den neuen Shelter im Keller testen, der deutlich mehr Sicherheitsgefühl vermittelt, wir lernen auch die Nachbarfamilie mit den beiden 5 und 8 Jahre alten Söhnen kennen, die ebenfalls den Keller als Unterschlupf nutzen. Alle sprechen leidlich Englisch und es besteht viel gegenseitige Neugier, wir überlegen uns Optimierungsmöglichkeiten für zukünftige Angriffe inklusive dem Platzieren von Uno-Karten oder Monopoly, alle versuchen das Beste aus der eigentlich sehr unschönen Situation zu machen. In der Zwischenzeit ist auch der erste Auftrag für den Folgetag eingetroffen, interessanterweise ein Transport von hier in den Osten – genaueres wird nicht erwähnt. Es werden auch zwei neue Teammitglieder eintreffen, so dass ich nicht mehr der Neuling bin – ich bin dann eine Woche da, gefühlt aber schon eine halbe Ewigkeit, und ich fühle mich sehr wohl : das Zusammenleben macht Spaß, die Arbeit ist interessant und ich bin weiter voller Motivation und und Neugier auf die vielen Einsätze die noch kommen.



Nachts auf der E50
Nachts auf der E50

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